Vergangene Woche hatte ich eine interessante Erkenntnis beim Erstellen von Social Media Content. Alles war bereit, Camera in hand, ich wusste worüber ich sprechen wollte und trotzdem konnte ich nicht loslegen. “Wieso fällt es mir oft so schwer, Content zu filmen, wenn ich sonst kaum aufhören kann, über diese Themen zu sprechen?”, fragte ich mich. Ich spürte sofort diesen inneren Widerstand, diese Blockade. Aber anstatt wie sonst einfach durchzupreschen oder frustriert aufzugeben, erlaubte ich mir diesmal, diesen Widerstand zu erforschen. Was war da los? Warum fühlte sich alles so unnatürlich an, sobald die Kamera läuft? Meine Stimme wirkt unnatürlich, meine Bewegungen sind steif, und meine sonst so lebendigen Gedanken sind non-existent.
Und dann kam die Erkenntnis, die gleichzeitig schmerzhaft und befreiend war: Was hier passiert, ist eine direkte Folge von jahrelangem People-Pleasing. Es war kein Zufall, dass ich ohne menschliches Gegenüber plötzlich nicht mehr wusste, wer ich bin.
Das verblüffende Phänomen: Wenn wir ohne Gegenüber plötzlich “leer” sind
“Es ist seltsam”, dachte ich oft, “ich kann stundenlang mit Menschen sprechen, Workshops leiten, Coaching-Gespräche führen. Aber sobald ich vor der Kamera sitze, fühle ich mich wie gelähmt. Als hätte ich auf einmal nichts mehr zu sagen.”
Was zunächst wie ein Mandel an Talent wirken mag (“Ich bin einfach nicht gut vor der Kamera”), ist in Wirklichkeit ein tiefgreifendes psychologisches Muster. Eines, das weit über Content Creation hinausgeht und direkt in den Kern unserer Identität reicht.
“Die Kamera ist ein schonungsloser Spiegel, der uns zeigt, wie sehr wir uns im ständigen Bemühen selbst verloren haben, anderen zu gefallen.”
Die schmerzhafte Wahrheit: Als People-Pleaser existierst du nur in Reaktion auf andere
Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz: Ich bin “blank” vor der Kamera, weil ich jahrelang trainiert habe, mein Verhalten an den Reaktionen anderer auszurichten. Ohne diese Reaktionen fehlt mir der Kompass, die Navigationshilfe dafür, wer ich sein soll.
Als People-Pleaser haben wir uns angewöhnt, in ständiger Reaktion zu existieren:
- Ein Stirnrunzeln unseres Gegenübers? Schnell die Richtung ändern.
- Ein Lächeln? Mehr davon geben.
- Ein gelangweilter Blick? Das Thema wechseln oder energischer werden.
Wir haben uns so sehr darauf konditioniert, uns anzupassen, dass wir ohne ein reaktives Gegenüber buchstäblich nicht mehr wissen, wer wir sind oder was wir sagen möchten. Unsere Identität ist zu einer Funktion der Bedürfnisse anderer geworden.
Das erschreckende daran: Diese Leere vor der Kamera ist nur die Spitze des Eisbergs. Sie zeigt uns, wie tief das People-Pleasing tatsächlich in uns verwurzelt ist.
Der verschwundene Kern: Wie wir verlernt haben, uns selbst zu kennen
“Wer bin ich eigentlich, jenseits von dem, was andere von mir wollen?” Diese Frage trifft viele People-Pleaser ins Mark. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, uns an äußeren Erwartungen zu orientieren, dass wir den Kontakt zu unserem wahren Kern verloren haben.
Die Kamera konfrontiert uns mit dieser unbequemen Wahrheit. Ohne die ständigen Mikroreaktionen eines menschlichen Gegenübers fehlt uns die Information darüber, wie wir uns anpassen sollen. Plötzlich stehen wir vor der erschreckenden Frage: Gibt es mich überhaupt noch, jenseits meiner Reaktionen auf andere?
Für mich war diese Erkenntnis zutiefst beunruhigend. Ich realisierte, dass ich in vielen Bereichen meines Lebens zum Chamäleon geworden war: immer bereit, die Farbe anzunehmen, die von mir erwartet wurde. Ohne äußere Erwartungen fühlte ich mich wortwörtlich farblos, konturlos, leer.
Die perfekte Anpassung: Warum wir Meister darin sind, andere zu “lesen”
Als People-Pleaser entwickeln wir eine geradezu übernatürliche Fähigkeit, die kleinsten Signale unserer Mitmenschen zu lesen. Wir werden zu emotionalen Detektiven:
- Wir bemerken die kleinste Veränderung im Gesichtsausdruck
- Wir hören die feinsten Nuancen im Tonfall
- Wir spüren Stimmungswechsel noch bevor unser Gegenüber sie selbst wahrnimmt
Diese Hypersensibilität erscheint zunächst wie eine Superkraft, ein tiefes emotionales Verständnis für andere. Doch sie hat einen hohen Preis: Wir verwenden so viel Energie darauf, andere zu “lesen”, dass wir verlernen, uns selbst wahrzunehmen.
Vor der Kamera fällt dieses ausgeklügelte System plötzlich zusammen. Es gibt keine Signale zu lesen, keine Reaktionen, auf die wir uns einstellen können. Und so stehen wir da, mit einem hochentwickelten System zur Anpassung, aber ohne etwas, woran wir uns anpassen könnten.
“People-Pleasing hat uns zu virtuosen Interpreten anderer Menschen gemacht, während wir verlernt haben, unsere eigene Melodie zu spielen.”
Die Kosten des People-Pleasings: Persönlichkeitsverlust und innere Leere
Die Konsequenzen des chronischen People-Pleasings reichen weit über peinliche Momente vor der Kamera hinaus. Sie durchdringen unser gesamtes Sein:
- Identitätsverlust: Wir wissen oft nicht mehr, was wir wirklich mögen, was uns wichtig ist, wofür wir stehen
- Erschöpfung: Die ständige Anpassung kostet enorme Energie
- Beziehungsprobleme: Ohne echten Selbstausdruck bleiben unsere Beziehungen oberflächlich
- Selbstentfremdung: Das Gefühl, sich selbst nicht mehr zu kennen
- Existenzielle Leere: Das nagende Gefühl, nicht wirklich zu existieren
Diese “Blanko-Momente” vor der Kamera sind letztlich ein Geschenk. Sie konfrontieren uns mit einer Wahrheit, die wir im Alltag geschickt umgehen: dass wir uns selbst in all dem Bemühen, anderen zu gefallen, verloren haben.
Zurück zur Authentizität: Wege, deinen wahren Kern wiederzuentdecken
Wenn du dich in dieser Beschreibung wiedererkennst, ist das kein Grund zur Verzweiflung. Es ist vielmehr der erste Schritt zur Veränderung. Denn sobald wir das Muster erkennen, können wir beginnen, es zu durchbrechen.
Der Weg zurück zu dir selbst ist möglich. Hier sind konkrete Schritte, die mir geholfen haben und auch dir helfen können:
1. Akzeptiere die Leere zunächst
Statt gegen das “Blank-Sein” anzukämpfen, nimm es als wertvolle Information an. Es zeigt dir, wo People-Pleasing deine Authentizität ausgehöhlt hat. Diese Erkenntnis, so unangenehm sie auch sein mag, ist der Beginn deiner Befreiung.
2. Frage dich: Was denke ICH wirklich?
Beginne, diese Frage mehrmals täglich zu stellen. Bei kleinen Dingen wie Essensvorlieben, bei größeren wie Werturteilen. Oft wirst du überrascht sein, wie schwer es fällt, eine Antwort zu finden, die wirklich von innen kommt und nicht von außen übernommen ist.
3. Erschaffe bewusst reaktionsfreie Räume
Übe das Alleinsein und das Handeln ohne externe Bestätigung:
- Schreibe ein privates Tagebuch (nur für deine Augen)
- Unternimm Aktivitäten allein, ohne sie zu teilen
- Experimentiere mit kreativen Ausdrucksformen ohne Publikum
4. Entlarve deine angepassten Selbstbilder
Wir People-Pleaser entwickeln oft verschiedene “Versionen” von uns für verschiedene Kontexte. Werde dir dieser “Charaktere” bewusst:
- Welche Rolle spiele ich in meiner Familie?
- Wie verändert sich mein Verhalten je nach sozialem Kreis?
- Welche Teile meiner Persönlichkeit zeige ich nur bestimmten Menschen?
5. Entwickle eine Beziehung zu deinem authentischen Selbst
Behandle dein wahres Ich wie eine Person, die du neu kennenlernen möchtest:
- Was mag diese Person?
- Wofür steht sie?
- Was braucht sie, um zu gedeihen?
“Der Weg zurück zu dir selbst beginnt mit dem Eingeständnis, dass du dich verloren hast, und der Entscheidung, dich wiederzufinden.”
Dein erstes Experiment: Die Kamera als Spiegel deiner Selbstentfremdung nutzen
Die Kamera, genau der Ort, an dem sich deine Selbstentfremdung am deutlichsten zeigt, kann zu einem kraftvollen Werkzeug deiner Heilung werden.
Hier ist ein Experiment, das ich selbst durchgeführt habe und das mein Verhältnis zu mir selbst grundlegend verändert hat:
- Setze dich vor die Kamera (nur für dich, nicht zum Teilen)
- Starte die Aufnahme und sage einfach: “Ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll, und das ist ok.”
- Bleibe dann 2-3 Minuten vor der laufenden Kamera, auch wenn es sich unangenehm anfühlt.
- Beobachte, was passiert: Welche Gedanken und Gefühle tauchen auf? Welche Impulse hast du?
- Reflektiere anschließend: Was hat diese Übung dir über deine Beziehung zu dir selbst gezeigt?
Diese Übung ist so kraftvoll, weil sie dich mit der Leere konfrontiert, die das People-Pleasing hinterlassen hat und dir gleichzeitig die Möglichkeit gibt, in dieser Leere etwas Neues, Authentisches zu entdecken.
Die Reise von der people-pleasing-bedingten Leere zurück zu deiner Authentizität ist keine einfache. Sie erfordert Mut, Geduld und die Bereitschaft, unangenehmen Wahrheiten ins Auge zu sehen. Aber es ist eine Reise, die sich lohnt.
Denn am Ende steht nicht nur die Fähigkeit, vor der Kamera authentisch zu sein. Es geht um viel mehr: Um die Freiheit, vollständig du selbst zu sein, in jedem Kontext, in jeder Beziehung. Es geht darum, endlich aus eigenem Antrieb zu leben, statt nur auf andere zu reagieren.
Und vielleicht ist dieses “Blank-Sein” vor der Kamera letztlich ein Geschenk. Ein Weckruf, der uns zeigt, wie sehr wir uns selbst in all dem Bemühen, anderen zu gefallen, verloren haben. Und eine Einladung, den Weg zurück zu uns selbst anzutreten.
Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht? Kennst du dieses Gefühl der Leere, wenn du plötzlich auf dich selbst zurückgeworfen bist? Ich würde mich freuen, von deinen Erlebnissen zu hören! Schreib mir gerne auf @birgit.blossom.coaching oder per e-Mail.
Wenn du tiefer in das Thema eintauchen möchtest, wie du vom People-Pleasing zu authentischen Beziehungen findest, lade dir meinen kostenlosen Guide “Grenzen setzen, Freiheit gewinnen” herunter.